Concerto Köln, ein Spezialisten-Ensemble für Barockmusik, engagiert einen Sprecherzieher. Nicht etwa um Gesprächsabläufe zu coachen, sondern um Rhetorisches in einer Musik zu erkunden, die keinen Text hat. Ist das paradox? Nur auf den ersten Blick. Die Begegnung hat im Oktober 2020 in Köln stattgefunden, mit dem nötigen Sicherheitsabstand, aber zum Glück noch persönlich. Erleben Sie hier einen kurzen Einblick in dieses Experiment an der Schnittstelle von Rhetorik, Kommunikation und barocker Instrumentalmusik.

Klangrede im Barock

Barockmusik wird auch als sprechende Musik verstanden. Um 1600 wurde in Italien ein Wandel eingeleitet: Wo vorher kunstvoll verschachtelte, mehrstimmige Sätze komponiert wurden, stand nun die instrumental begleitete Solostimme im Mittelpunkt. Es ist die Geburtsstunde der Oper. Doch entsteht auch rein instrumentale Musik – mit gesprochener Sprache zum Vorbild. So begann in der musikalischen Welt auch die Auseinandersetzung mit der Rhetorik der Antike.

»Das war natürlich nur in Italien möglich, wo die Sprache tatsächlich melodramatisch klingt; wir brauchen bloß auf dem Marktplatz einer italienischen Stadt den Menschen zuzuhören [...], die Plädoyers in einer Gerichtsverhandlung zu hören – da fehlen wirklich nur ein paar Akkorde auf einer Laute oder einem Cembalo, und die Monodie, das Rezitativ ist fertig.«
(Nikolaus Harnoncourt: Musik als Klangrede. 1982. S. 173)

Antike Rhetorik und Musik

Die Rhetorik der Antike stellte in der Barockzeit den Maßstab für Beredsamkeit dar. Zweitausend Jahre zuvor war sie in Syrakus, Athen und später in Rom auf dem Boden der Volksdemokratie gewachsen. Dort war rhetorisches Reden Teil des gesellschaftlichen Entscheidungsprozesses und ein Werkzeug der philosophischen Werte- und Wahrheitsfindung.

Cicero

Doch wird das romantische Bild redenschwingender Ehrenmänner und debattierender Philosophen bis heute von den Schattenseiten der Rhetorik getrübt: Selbstdarstellung, Verhüllung, Manipulation. Sucht man nach Gemeinsamkeiten von Rhetorik und Musik, stolpert man unausweichlich über die Affekten- und die Figurenlehre, die beide ihre Wurzeln in der Antike haben. Die Affekte, die Gemütsregungen, wurden ursprünglich von Platon und Aristoteles als Phänomene der Musik erkannt. Doch wurden sie bald auch verwendet, um die Wirkung von Reden zu beschreiben. Und obwohl die rhetorischen Figuren Werkzeuge des Rhetors sind, finden wir sie auch in den Werken Bachs wieder.

Debattenkultur

Der Gegenstand antiker Rhetorik ist die Rede. Hier finden ihre Lehren und Prinzipien bis heute Anwendung, und zwar nicht nur in Parlamenten und Gerichtssälen. Debattierclubs sind im angelsächsischen Hochschulleben seit dem 18. Jahrhundert etabliert und florieren dort bis heute. Die sich in der Debatte gegenüberstehenden Teams müssen für oder gegen einen vorgegebenen Sachverhalt sprechen, ungeachtet ihrer persönlichen Überzeugung. Es ist eine Disziplin für junge Geister, die rhetorische Fähigkeiten sowie dialektisches und politisches Denken fördert. Mittlerweile steigt auch hierzulande die Lust am Reden: Debattierclubs, Toastmasters und Co. sind in vielen deutschen Städten zu finden. Auch in Schullehrplänen taucht die Rhetorik wieder auf.

Menschliche Kommunikation

Entfernen wir uns mal von großer, wirksamer Rede und schauen auf die Basics menschlicher Kommunikation. Das Zitat des Psychotherapeuten Paul Watzlawick birgt die wichtige Erkenntnis, dass wir selbst dann kommunizieren, wenn wir nicht sprechen. Erst recht muss dann barocke Instrumentalmusik, die sich als »sprechend« versteht, als Kommunikation gelten! Doch tauchen, wo kommuniziert wird, immer auch Missverständnisse auf.

»Man kann nicht nicht kommunizieren!«
– Paul Watzlawick. 1969

Wie leicht man sich im Dschungel der verbalen und nonverbalen Nachrichten eines »einfachen« Dialogs verlaufen kann, zeigt Friedemann Schulz von Thuns Kommunikationsquadrat (Bild). So stecken in einer Aussage immer mehrere Botschaften, deren Bedeutung ziemlich subjektiv ist. Auch musikalische Nachrichten müssen in einem Raum voller Musiker*innen und Hörer*innen vielfach Hin und Her gesendet und können noch vielfältiger interpretiert werden. Ein wirkliches gegenseitiges Verstehen scheint eine komplizierte Angelegenheit zu sein, die auch auch scheitern kann. Gut, dass es Wege gibt, sich über das Gelingen einer solchen Kommunikation auszutauschen.

Wie wirkt das? Ein Feedback bitte!

Um senden zu können, was man meint, und um zu verstehen, was beim Gegenüber ankommt, kann man sich eines der hilfreichsten Mittel bewusster Kommunikation zunutze machen: Feedback. Spannenderweise teilen sich Sprechen und Musizieren viele der wirkungserzeugenden Mittel, die wir beobachten und rückmelden können: Akzentuierung, Artikulation, Dynamik, aber auch Mimik, Gestik und Körperlichkeit. Eine wunderbare Beobachtungsübung bietet die nebenstehende Videoaufnahme von Concerto Köln. Welche der genannten Mittel können Sie hier wahrnehmen?

Sprechende Musik, musikalische Rhetorik?

Die Auseinandersetzung um Dialogo begann mit dem Statement, dass barocke Instrumentalmusik sprechend sei und ihre Ideale in der antiken Rhetorik suche. Eine Verwandtschaft dieser Domänen, zumindest in der Terminologie (Figuren & Affekte), ist klar vorhanden.

»Wie sag ich, was ich meine, so, dass es andere hören und verstehen, damit wir miteinander handeln können?«
Hellmuth Geißner

Die Frage bleibt, ob barocke Musik, wenn sie schon sprechend und kommunikativ ist, auch rhetorisch ist? Vermutlich Ansichtssache … nur so viel: Kommunikation ist rhetorisch, wenn sie ein Ziel hat und wenn die Mittel zum Erreichen dieses Ziels bewusst gebraucht werden. Laut dem Sprechwissenschaftler Hellmuth Geißner steht am Ende von rhetorischer Kommunikation das gemeinsame Handeln. Gibt es also rhetorische Musik? You tell me.

Autor: Ulrich Hoffmann

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